Die "schöpferische Pause"

Inzwischen war es Ende Mai geworden und Rory ging es wieder bestens. Vier Jahre war er nun alt und ich beschloss ihn noch mal für ein halbes Jahr "wegzustellen", d.h. Sommerweide und keine Arbeit. Ich halte es für sehr wichtig, dem jungen Pferd diese Ruhephase zu gönnen. Die jungen Tierchen haben soviel neues kennengelernt, durchs Longieren und Reiten, Gehorchen und Disziplin, tägliche Arbeit und oft auch Stall- und Besitzerwechsel. Haben die Schulkinder nicht auch mal "große Ferien"? Ich fand Rory hatte eine Pause von Arbeit und mir verdient. Außerdem wollte ich, was seine Verletzung anging, kein Risiko eingehen. Am 01.Juni 1989 stiefelte Rory mal wieder in den Transporter und wurde nach Moorburg auf die Hengstkoppel gebracht. Allerdings tummelten sich diesen Sommer dort nur Wallache, aber wo ist da schon der große Unterschied? 

Rory sah die anderen, wurde losgelassen, wieherte und stob davon. Ich war vergessen. In diesem Sommer wurde er wieder ein bisschen wilder, raufte sich mit seinen Artgenossen und tat äußerst schreckhaft, wenn ich ihn besuchte. Doch schließlich sah er ein, dass 2-3 mal die Woche Frauchen kommt, guckt ob alles in Ordnung ist, Wunden versorgt, Hufe auskratzt und wenigstens was, auch mal was Schönes mitbringt. Na, er hatte es gut auf seiner netten Koppel mit gutem Gras und vielen Spielkameraden. Und ich? Die Zeit ohne Pferd, Betüteln und Reiten wurde mir manchmal lang. Es fehlte da was, ich musste mir was einfallen lassen oder ich würde unausstehlich werden.

Da fiel mir meine Freundin Anke ein, die im Sommer immer große Probleme hatte, ihre Nora einigermaßen bei Figur zu halten. Sowohl Anke als auch ich waren sehr zufrieden, als ich begann Nora 2 x die Woche zu reiten. Nora und ich waren alte Bekannte, durch sie habe ich die Dressur, unter der auch mein Rory stöhnt, kennengelernt. Damals war sie 15, eine gestandene recht kapriziöse Lady, die gerne die Oberhand beim Reiten bewahrte. Das kleine Gör von damals kam ihr gerade recht. Sie konnte mitunter wundervoll gehen, weich am Zügel und energisch bei der Sache, die komplizierten Figuren exakt ausführend.
Doch ach, dieser Irrwisch konnte auch anders und so manche Stunde war ich damals mit flatternden Knien aufgestiegen, wohl wissend dass es wieder sein könnte, dass wir etliche Extrarunden in der Halle drehen. Doch nun war Nora ja 20, ein reifes Alter für wahr. Solche Eskapaden würde sie natürlich nicht mehr machen. 

Seltsam, ich bin sicher, sie erkannte mich wieder, denn sonst "fremdelte" sie gerne. Doch sie war gleich wieder lieb im Umgang und auf der Suche nach Leckerlies. Pferde müssen meiner Meinung nach in dieser Hinsicht ein gutes Gedächtnis haben. 
Also freute ich mich auf eine ruhige Stunde Dressur mit dem alten Mädchen, ich würde auch vorsichtig mit ihr sein und langsam beginnen.
Der Außenplatz federte wunderbar, Nora schritt ruhig aus, na also auch sie würde mal vernünftig und ruhig, besonnen und ..... ein Hund! Ein Hund im Gebüsch! Ach du lieber Schreck, Nora quietschte auf und ab ging es im wilden Zick-Zack-Galopp quer über den Platz. Ich konnte nicht anders, ich musste lachen, ich klammerte mich an die sorgsam verzogene Mähne und lachte, während Nora verdutzt und wie ich meine aus dem Konzept gebracht stehen blieb. Gute alte Nora, nun freute ich mich wirklich wieder auf meine wöchentlichen Ritte mit ihr. Sie hatte in den letzten Jahren viel dazugelernt, was die Dressur betraf, doch ihre alten Marotten waren noch voll da. Im Gelände war und blieb sie ein kleiner Drachen.

Nora wurde mopsfidel 23 Jahre alt und ich besuchte sie in diesen drei Jahren noch häufig. Und sie wurde die ganze Zeit über weiterhin dressurmäßig geritten. In ihrem letzten Jahr vertrat sie sich bei ihren üblichen Kapriolen so unglücklich, dass ihr Bein sich immer wieder entzündete. Nora litt sehr und Anke entschloss sich schweren Herzens, sie zu erlösen. Und wir hatten alle gedacht, dass die Lady steinalt werden würde....


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