Das Anreiten

Das Frühjahr ist endlich doch gekommen und Mutabor ist 3 Jahre alt geworden. An seinem Geburtstag stehen wir zehn Mann hoch vor seiner Box und ich bekomme zu hören, dass jetzt mal Schluss sein müsse mit der Spielerei, nu müsste er eingeritten werden.

Eigentlich bin ich ein vorsichtiger Mensch, aber an diesem Tag hatte ich die Nase voll, holte meinen Krümel aus der Box, legte ihm den Sattel auf, führte ihn etwas herum, gurtete an, drückte dem Nächstbesten den Strick in die Hand und schwang mich in den Sattel. Das Erstaunen war groß, doch eigentlich war dieses ruhige Stehen beim Aufsteigen nur der Erfolg monatelanger Vorbereitungen.  

Mein Ziel war es, Rory bis zum Herbst soweit zu bringen, dass ich zumindest die Richtung und wenn möglich auch das Tempo bestimmen konnte, aber ich hatte die Rechnung mal wieder ohne den Wirt gemacht.

Gegen den Reiter auf seinem Rücken hatte Rory nicht viel einzuwenden, mochte dieser nun still sitzen oder laufend aufstehen, aber die Trense im Maul - nein danke! Mein ach so sanftes Durchparieren führte zu heftigem Kopfschlagen seinerseits. Er mochte erst gar nicht lostraben und dann schoss er plötzlich los und jegliche Versuche durchzuparieren verschlimmerten die Lage noch. An der Loge geritten, ging alles etwas besser, aber auch sehr rasant vonstatten. Der in der Mitte Stehende hatte jedenfalls viel zu halten...

Ein Tellington-Wochenendkurs, der auf dem Hof abgehalten wurde, brachte die Rettung. Zwar stieg mein Pferdchen empört, als sich der Kursleiter in seinen Sattel schwang und machte einen durch und durch unglücklichen Eindruck, aber mir wurde der Tipp gegeben, zunächst am Halfter mit zwei Stricken zu reiten. Wunderbare Idee! Rory akzeptierte willig das Halfter auf der Nase zum durchparieren und ließ sich sehr leicht lenken. Die Trense packte ich ihm allerdings trotzdem auf, sollte er sich doch an sie gewöhnen. Noch heute kann Rory am Halfter oder Kappzaum geritten werden, inzwischen geht er dabei auch am Zügel.

Rorys Schüchternheit beim Reiten legte sich rapide und machte einem Rausch der Geschwindigkeit Platz, den ich um nichts besser fand als seine Verzagtheit. Nun blieb der Rücken gelöst und entspannt, während Mutabor hoch erhobenen Hauptes und gespitzten Ohres seine Runden drehte. Nun wurde Katja energisch, das Martingal kam herauf und wir lieferten uns unseren ersten kleinen Zweikampf hoch zu Ross. Ich gewann ihn sehr schnell und Rory sah zumindest für´s erste ein, dass der Reiter (meistens) das Tempo bestimmt. Nun konnte ich auch zu den 10 Minuten-Ritten zurückkehren, die ich mir vorgenommen hatte, denn ein dreijähriger Araber ist ein ziemlich schmales Hemdchen. Ich weiß noch, wie skeptisch meine Freundin das zarte Geschöpf und dann mich musterte und mich vorsichtig fragte, ob ich meinte, dass er groß genug für mich werden würde.

Nun ich gab mich optimistisch und zockelte wieder, Pferdchen an der Hand, ab ins Gelände. Doch jetzt gab es einen gravierenden Unterschied. Zwischendurch schwang ich mich für 10-15 Minuten auf Rorys Rücken und genoss unser erstes "Ausreiten". Lächerlich? Wie Sie meinen, aber die ersten Male auf dem Rücken meines Krümels waren voll der ängstlichen Spannung (Was tut er nu?) und der Freude. Oft genug fand ich auch liebe Reiter, die mich auf eine Schritt-Runde mitnahmen, geduldig warteten, während ich auf- oder wieder abstieg, und Rorys Faxen milde beurteilten.
Oder ich schwang mich auf Paschas Rücken, Rorys großem Araberfreund, nahm meinen Lütten an die Kette und zockelte so mit beiden Pferden los. Und Pascha, sonst ein sehr ängstliches Wesen, so ganz alleine im Gelände, ging die Ruhe selbst mit Rory an der Seite durch Feld und Flur.

Doch der nächste Winter kommt bestimmt und wir mussten unsere schöne Koppel mitten im Gelände mit dem Stall und der Box vertauschen.

Das Glück war mir jedoch weiterhin hold, die Stute meiner Freundin war tragend und Karin zog es vor sie lieber nicht zu reiten. Statt dessen kam sie mit mir, führte Rory an einem Strick, den wir in Rorys Trensenring eingeklinkt hatten und begleitete uns so bei unseren Aus- bzw. Fußritten.
Zwischendurch ging Rory dann mit leerem Sattel und anschließend schwang sich Karin auf das edle Ross. Auf übersichtlichen Wegen ließ dann der Führer Rory von der Leine und blieb abwartend zurück, ob der mutig voranreitende auch gut zurückkommt.

Ich kann diese Art ein Pferd an das Gelände zu gewöhnen nur empfehlen. Zum einen klebt er nicht dauernd an anderen Pferden und lernt mutig und selbstständig voranzugehen, zum anderen ist es zu zweit wirklich sicherer, wenn man ein junges Pferd anreitet. Es kann schließlich doch leichter etwas passieren, als wenn man mit einem älteren, erfahrenen Pferd unterwegs ist. Eine andere schöne Möglichkeit ist das Reiten zu zweit, wobei der Reiter auf dem erfahrenen Pferd einen Strick, quasi als Sicherheitsleine zum jüngeren Pferd in der Hand hält.

Mutabor wurde durch unsere Spaziergänge jedenfalls ruhig. Bald konnten ihn große Laster oder (verbotener und ärgerlicher weise)  vorbeigaloppierende Reiter nicht schrecken. War er sehr "kribbelig", so führten wir ihn bis zur Koppel, ließen ihn sich dort austoben und stapften anschließend los.
Bis zum Frühjahr erweiterte ich unsere Ausritte (auf ihm drauf) bis etwa 1 Stunde im schritt, merkte ich, dass das Pferdchen müde wurde, stieg ich ab und führte. Im Frühjahr begann ich dann ohne Führen mit anderen auszureiten. Im Frühling 1989 war Rory schließlich rundherum angeritten, er ging relativ gesittet durch das Gelände und ließ sich auf dem Platz in allen 3 Grundgangarten, ohne am Zügel zu gehen, reiten.

Es sah alles sehr erfreulich aus, viel zu erfreulich....


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